Die Jungen aus der Feldstrasse, Teil 53


"Aber vielleicht können wir es unbrauchbar machen", sagte Gunnar noch kurzem grübeln.
"Wie wollen sie dies bewerkstelligen, Herr van der Linden?"
"Ich dachte, wir könnten etwas in das Horn hineingießen."
"Was soll das bringen?"
"Echt, Tiscio? Wenn wir flüssiges Metall reinfließen lassen, dann kann kein Ton mehr erzeugt werden und das Horn ist unbrauchbar."
"Gar nicht dumm."
"Aber leider nur temporär. Die magische Natur des Horns würde es ermöglichen, es ebenfalls so weit zu erhitzen, dass, was immer wir hineingegossen haben, auch wieder herausfließen würde."
"Wir könnten es auch in einen Block Metall einschmelzen."
"Was das grundlegende Problem nicht beseitigen würde."
"Aber man könnte es nicht mehr als das Horn erkennen."
"Wer war so mächtig, so etwas zu schaffen, und warum sind wir so schwach?"
"Ich glaube, das, Tis, hat uns unser Gastgeber vorhin erzählt."
"Du meinst, die Sache mit Magiern und Bergen, flammenden Schwertern und so?" Er warf einen Blick zum Gnom, der die ganze Konversation beobachtete, und entschied sich, nicht in diesem Moment das zu sagen, was er während der ganzen Erzählung gedacht hatte: Möglich, dass es früher mehr Magie gab, aber dieser ganze Heldenkram war doch nur etwas, woran man als Kind glaubte. Er nahm sich da nicht aus. Aber das war schon Jahre her, fast ein anderes Leben, und jetzt glaubte er nicht mehr daran. Es war nicht einmal das fantastische, was das ganze so unglaubwürdig für ihn machte. Grabenschleim! Er kam aus Xpoch, wo [Dämonen] in den Straßen herumliefen, ein privater Ermittler einen Mörder mit Magie gefoltert hatte und angeblich ein Vampir der größte Wohltäter der ärmeren Viertel war. Es lag genau daran, dass er aus Xpoch kam, wo [Dämonen] in den Straßen herumliefen, Menschen mit Magie gefoltert wurden, und Vampire lebten.
"Genau die. Ist doch logisch, nich'?"
"Vieleicht waren es aber auch die Götter."
"Wenn es sie denn gab."
"Komm schon Tis. Du warst Priester der Frühlingskönigin und hast ein Problem mit der Vorstellung, dass es [Götter] gab?"
"Die Frühlingskönigin ist kein Gott und außerdem war ich nicht ihr Priester."
"Tiscio hat Recht, Malandro. Er war Priester dieser göttlichen Kraft."
"Macht."
"Was?"
"Göttliche Macht. Aber netter versuch."
"Was auch immer. Aber ich hatte gerade noch eine Idee."
"Wegen des Horns?"
"Genau. Ich dachte, wenn wir den Oravahler einschmelzen könnten, dann wäre das vermutlich ungefähr die Hitze, die was immer auch in der Fest sein mag, aufbringen könnte. Und dann wäre das Horn vor ihm sicher."
"Leider können sie das nicht wissen, Herr van der Linden. Außerdem wollen wir das Horn nicht nur vor der Feste und den Oravahlern schützen. Wir müssen dafür sorgen, dass das Horn von niemandem verwendet werden kann. Und das schließt, so leid es mir tut, auch die [Hügelstätte] und ihre Heimat mit ein."
"Äh ..."
"Was sollen wir dann damit machen?" Automatisch wandten sich ihre Blicke dem Gnom zu.
"Irch kann nirchts tun. Nur zurück tun. Wieder."
"Was dann?"
"Kennen sie jemanden, der so viel Magie hat, dass er das Horn zerstören könnte", wandte sich Gunnar an Kol Therond.
"Ein Magierzirkel wäre vielleicht in der Lage, etwas Derartiges zu bewerkstelligen, doch muss ich gestehen, dass ich noch nie von einem solchen Ergebnis gehört hätte. Aber ...", der Botschafter machte eine dramatische Pause, die aber eigentlich aus einer tiefen Verlegenheit geboren wurde.
"Ähem, es heißt, wenn man den Berichten Glauben schenken kann, und ich muss zugeben, dass selbst unsere eigenen Expeditionen keine handfesten Beweise liefern konnten ... nun, auf jeden Fall gibt es Hinweise auf ein Reich der Magier, denen man nachsagt, sie könnten mit einem einzigen Gedanken ganze Völkerschaften unterwerfen. Das ist natürlich eine übertriebene Aussage, aber nichtsdestotrotz würde ich einem solchen Reich ein derartiges Artefakt nicht anvertrauen wollen." Erneut holte er tief Luft, um die unglaublichste Behauptung hinzuzufügen. "Natürlich halten sich auch die Legenden, dass es weit im Osten noch Drachen geben soll. Sollte dem tatsächlich so sein, wäre es denkbar, dass ihr Feuer in der Lage wäre, das Horn zu schmelzen. Aber, immer vorausgesetzt, dass es in der Tat noch Drachen gäbe oder überhaupt jemals gegeben hat, stellt sich doch die Frage, warum man gerade ihnen das Horn anvertrauen sollte, nachdem all unsere Legenden uns lehren, dass man ihnen nicht trauen kann."
Die Feldstraßler standen mit offenen Münder da, bis Malandro schließlich sagte: "Ehrlich? Drachen?" wofür er ein knuffen seines Oberarms erntete.
"Was dann?"
"Was ist mit der Frühlingskönigin?"
"Kennst du eine?"
"Naja, die in Klifsen."
"Und was dann? Wir geben ihr das Horn und dann läuft in einem Jahr eine Frau ohne Schutz mit einer gefährlichen Waffe herum, die alle haben wollen?"
"Vielleicht kann sie es dem Winterhirte geben. Oder dem Engel."
"Ein Engel? Was haben Engel mit der Frühlingskönigin zu tun, Herr Canil?"
"Na", sprang Malandro ihm bei, "alle Frühlingsköniginnen werden von Engeln ausgewählt."
"Engel?"
"Naja, wir haben einen Mann mit Flügeln getroffen, der offensichtlich irgendwelche übernatürlichen Fähigkeiten hatte."
"Ich sehe. Aber können wir diesen wiederum trauen?"
"Ich vertraue ihnen auf jeden Fall mehr als den Hügelstättern."
"Oder den Hetradoniden." Malandros Zusatz erntete zustimmendes Nicken, selbst vom Botschafter.
"Und?"
"Was?"
"Was machen wir jetzt?"
"Wir gehen zurück zum Ornithopter und fliegen zurück. Während des Flugs muss uns etwas einfallen."
"Warum ist es jetzt unsere Aufgabe uns darum zu kümmern? Es wurde schließlich nur gefunden, weil die Oravahler die Bücher hatten. Und die haben wir jetzt."
"Aber die Feste weiß trotzdem, wo es ist. Und die werden noch jemanden schicken. Dann sterben noch mehr Gnome."
"Unsere Grenzwachen werden dieses Mal besser aufpassen."
"Und wenn sie nicht über die [Hügelstätte] rauskommen?"
"Dann müssten sie durch die Zaubererwüste."
"Stimmt, die hatte ich ganz vergessen."
"Was meinst du, Gunnar?"
"Na, da habe ich was auf dem Hinflug drüber gelesen."
"Spannend?"
"Sehr. Aber, was ich sagen wollte: Die [Zaubererwüste] ist so gefährlich, dass niemand sie betreten würde. Wenn wir da rüber fliegen würden ..."
"Wenn ich ihren Gedankengang an dieser Stelle unterbrechen dürfte, Herr van der Linden, aber zum einen können wir nicht ungefährdet über die Wüste fliegen und zum anderen mag es zwar stimmen, dass niemand mit klarem Verstand die Wüste betreten würde, aber Dinge haben die unglückliche Angewohnheit, aus der Wüste herauszukommen. Zudem bezweifle ich, dass viele, die das Horn suchen werden, bei klare Verstand sind."
"Grmpf", war Gunnars enttäuschte Antwort.
"Aber ..."
"Ja, Herr Sabrecht?"
"Äh ... wenn wir ... ich meine ... wenn wir verhindern wollen, dass die Feste weiter ... Dinger hierher schickt ..."
"Ich fürchte, ja, Herr Sabrecht, sie haben unser größtes Problem erfasst."
"Was? Was is'?"
"Wir müssen irgendwem sagen, dass wir das Horn mitgenommen haben."
"Warum das denn?"
"Er hat Recht. Wir müssen nicht nur das Horn mitnehmen. Wir müssen auch noch erzählen, dass wir es haben."
"Warum? ... Oh."
"Genau."
"Grabenschleim."

Die Entscheidung, das Horn mitzunehmen, war am Ende keine mehr. Die Verabschiedung von den Gnomen war kurz und ohne viel Gefühl, eher ein Anerkennen der Lasten, die dem anderen zugefallen waren. Sie verstauten das Horn in Gunnars Netzwerfer. Er musste ihn ein wenig modifizieren, was ihn schmerzte, aber selbst er sah ein, dass es besser war, das Horn zu verstecken, als einen funktionierenden aber leeren Netzwerfer dabei zu haben.
Den ganzen Weg durch den Gang hinaus in die aufziehende Düsternis der Wüste sprachen sie kein Wort. Was hätten sie auch noch sagen können, was sie nicht bereits diskutiert hätten?
Erst kurz bevor sie am Ornithopter ankamen brach erneut eine heftige Diskussion aus.
"Wir können es niemandem erzählen", verkündete Malandro, worauf alle nickten.
"Aber was sagen wir dann?"
"Dass wir den Oravahler besiegt haben."
"Aber nicht das Horn haben?"
"Wir haben es nie gesehen."
"Und wie funktioniert das damit, dass wir die Gnome schützen wollen?"
Kurzes Schweigen.
"Also sagen wir es doch?"
"Aber was machen wir dann mit Herrn Wintur und dem Piloten?"
"Heldrit Urifn."
"Ach ja, das war sein Name."
"Was machen wir mit ihnen?"
Erneutes schweigen.
"Was passiert, wenn wir zurückkommen? Würden ihre Leute uns das Horn abnehmen?"
"Sehr wahrscheinlich, Herr Sabrecht."
"Könnten sie sie davon abhalten?"
"Vielleicht für einen kurzen Augenblick. Doch denke ich, dass man mich sehr schnell verhaften würde. Spätestens dann wären sie auf sich selbst gestellt."
"Bastig."
"Was, wenn wir es nur Wintur erzählen?"
"Der würde doch versuchen, es uns abzunehmen."
"Dazu müsste er den Orni übernehmen."
"Trotzdem."
"Trotzdem. So ist's am einfachsten. Die Xpochler erfahren irgendwann, dass wir das Horn haben." Malandro warf Kol Therond einen Blick zu, der eine Augenbraue hochzog. "Und dann wissen es auch irgendwann die Hügelstätter. Und dann die aus der Festung."
"Das ist sehr wahrscheinlich wahr", gestand der [Hügelstätter] ein.
"Dann sagen wir es ihm?"
"Sieht so aus."
"Und was dann?"
"Wir suchen uns Rat?"
"Von wem?"
Erneut trat Stille ein.
"Könntest du jemanden in der Uni fragen?"
"Dafür müsste ich zurück nach Xpoch, Tiscio. Ich nehme an, du siehst das Problem."
"Dann schreib ihnen."
"Glauben sie, Herr Canil, dass niemand diese Briefe abfangen würde?"
"Die [Hügelstätte] öffnen Briefe?"
"Nicht regelmäßig, aber in Fällen wie den ihren würde kein Geheimdienst darauf verzichten können."
"Was soll das heißen: 'in Fällen wie unseren'?"
"Ist es nicht offensichtlich? Sie sind als Mitglieder einer verfeindeten Macht bis in unsere Hauptstadt vorgedrungen, haben ein wenig unserer Technologie kennen gelernt und standen zudem auch noch für eine Zeit unter der Kontrolle eines nicht einzuschätzenden Feindes. Ich bilde mir inzwischen ein, relativ genau einschätzen zu können, wo ihre Loyalitäten liegen und was sie zu tun bereit sind. Aber ich vermute, meine Kollegen machen sich, um es vorsichtig auszudrücken, ernsthafte Gedanken über sie."
"Oh. Aber können wir dann nicht einen Brief über einen bezahlten Boten schicken?"
"Nach allem was geschehen ist?" Gunnar lies die Frage einen Moment im Raum stehen, bevor er seinen eigenen Gedankengang fortsetzte. Er wusste, dass seine Freunde seinen Hinweis auf den Tot des Professors verstanden. "Die Metrowacht wird von einer Nachricht aus den [Hügelstätten] erfahren. Gleichgültig, ob sie es nun von der Universität erfahren oder tatsächlich den Boten abfangen."
"Das würde die Metrowacht niemals tun", warf Tiscio ein, war sich aber schon, als er die Worte aussprach, sicher, dass die Metrowacht natürlich die Briefe aus dem Ausland las. Wenn nicht die Wacht selber, dann jene Abteilungen, von denen auch die Xpochler nur hinter vorgehaltener Hand sprachen. Niedergeschlagen ließ er seinen Kopf sinken.
"Es gibt also niemanden, dem wir vertrauen können?"
"Es sieht so aus, Herr Canil."
"Vielleicht sollten wir es doch verheimlichen."
"Und dann? Die Gnome verlassen sich auf uns."
"Was ist, wenn wir das Gerücht in die Welt setzen, dass wir es dem Winterschmied gegeben haben, der es dann vernichtet hat?"
"Das könnte möglicherweise funktionieren. Aber ich vermute, dass trotzdem jemand nach uns suchen wird. Nur um sicher zu stellen, dass wir es tatsächlich nicht mehr haben. Vermutlich beginnend mit meinen werten Kollegen gefolgt von ihren Landsleuten."
"Grabenschleim! Grabenschleim! Grabenschleim! All unsere Freunde sind plötzlich unsere Feinde."

Die Jungen aus der Feldstrasse